Symptomatisch für Vieles in der Klimakrise ist der (un)gehörige Gewöhnungseffekt, der die alljährlichen COP-Weltklimakonferenzen begleitet und der auch schnell bezüglich der letzten gastgebenden Staaten griff. “Heute beginnt/endet”, “Aktivist*innen kritisieren” und “Ja, aber immerhin…”
Allein deshalb ist es keine schlechte Idee direkt davor ein Gegenprogramm zu versuchen. Die Initiative überLEBEN u . a. von Lobbykritiker und Ex-MdB Marco Bülow (Ex-SPD; jetzt Die PARTEI) organisierte am letzten Sonntag die goodCOP_1 mit Kurzvorträgen.
Idealerweise sollten die offiziellen COPs globale Abmachungen für wirksamen Klimaschutz bringen, was hier nicht die Funktion sein kann. Einzelne anwesende Medienvertreter*innen sprachen die immergleichen Beiträge zur COP an und die dennoch mangelnde Neugier z. B. der RBB-Redaktion auf die goodCOP in Berlin (die Anwesenheit der Reporterin hat zu diesem Artikel geführt ).
Ein realistisches Ziel könnte es demnach sein, anlässlich der COPs fundierte Kritik und andere Perspektiven doch noch nachdrücklicher in Medien und Öffentlichkeit zu tragen. Interessierte können sich über die Aufzeichnungen auch nachträglich anschauen, was Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen u. a. in etwa 15 Minuten langen Beiträgen zu sagen hatten. Links und jeweils ein paar der Inhalte habe ich als Vorschau unten zum Ausklappen angefügt (Vor Ort war ich nicht).
Mit Kritik an der ersten goodCOP selbst stach der Beitrag von Raphael Thelen heraus. Der ehemalige Journalist hat einen Roman geschrieben (WUT) und ist seit 2023 Mitglied bei der Letzten Generation. Dem in der Eröffnung erwähnten Denken außerhalb alter Muster werde man nicht gerecht, indem man sich immer weiter gegenseitig Vorträge halte über Studien, Projekte etc.
In Demokratien, die von dem 1 Prozent gehackt worden seien, stellt er nicht direkt in Aussicht, dass ein Systemwechsel herbeigeführt werden kann, sondern wählt das Bild einer sowieso irgendwann eintretenden Finanzkrise z. B., auf die man sich vorbereiten könne. Nach einem Knall könne man Zehntausende auf die Straße bringen wie früher Occupy Wall Street oder FFF. Diese Momente dann für einschneidende Veränderungen zu nutzen, setze aber Organisation und Absprache voraus, für die eine solche Zusammenkunft besser genutzt würde.
Ich finde zwar, dass auch informative Veranstaltungen wie diese weiter von Interesse sind, aber parallel dazu sollte man sich tatsächlich Gedanken machen, wie man Handeln sinnvoll organisieren könnte. Dazu könnte man analog zum COP-Gedanken auch wieder den globalen Rahmen mitdenken und fragen, welche Zusammenarbeit von Erdenbürger*innen jenseits ihrer Regierungen und Systeme denkbar wäre.
Was könnte man also zur COP-Zeit (und eventuell halbjährlich dazwischen) tun, das sich sowohl vom Lobby-Kongress als auch einer weiteren Tagung unterscheidet?
Oder sollte man vor allem Druck machen, dass die COPs entfilzt und vom Kopf auf die Füße gestellt werden?
Hier gibt es die Aufzeichnungen des Livestreams.
Überblick über Inhalte und Startpunkte zum selbst schauen
Teil 1 https://www.youtube.com/watch?v=4nm0a7hhG88&list=PL9ZgQUzok-KHrdrymPv6rLsuNU54Rz_RI&index=1
Marco Bülow (Lobbyland.de; überLEBEN, @marcobuelow@ruhr.social) Start
- Laut Bülow sollten die COPs boykottiert, statt mitgetragen werden (z. B. durch NGOs). Auf den COPs gäben die Blockierer den Ton an, man sollte stattdessen anderswo die Willigen versammeln. Follow the money: Im Jahr des Pariser Klimaabkommens weltweit 4 Billionen Dollar Subventionen in fossile Energien, heute 7 Mrd. Das Geld hätte schon lang umgeleitet werden müssen zu echtem Klimaschutz, Klimaanpassung und auch Ausgleichsmechanismen, die Menschen die Angst vor Klimaschutz nehmen.
Holozän Projekt Start
- Wissenschaftliche Initiative, die einen Pfad nicht nur zu 1,5 Grad, sondern sogar zu 1 Grad fordert und präsentieren will. Ein work in progress und sollte wohl überhaupt erst einmal zur Kenntnis gebracht werden, ich habe davon auch zum ersten Mal gehört. Unter anderem beteiligt sind Hans-Josef Fell (hat das EEG mitentworfen) und Christian Breyer, “der meistzitierte Energiewissenschaftler der Welt”. Ziel ist es für 800 Regionen die jeweils optimalen Maßnahmenbündel vorzuschlagen.
Videobotschaft Martin Sonneborn (Die PARTEI) Start
- Fasst die Kritikpunkte an Gastgeberland Aserbaidschan zusammen - und warum Kritik aus der EU heraus dennoch schwierig ist (in verschiedener Hinsicht).
Saskia Meyer (Initiative FOODerstand) Start
- Durch Verarbeitung, Verpackung etc. verbrauchen wir heute deutlich mehr Produktionsenergie pro Einheit Nahrungs-Energie als etwa in den 60ern. Auch andere Fakten sprechen eine eindeutige Sprache, verfangen aber noch nicht genug. Meyer setzt auf Bildung für alle, soziale Gerechtigkeit (also eher nicht Verteuerung als Hebel) und die Auseinandersetzung mit der emotionalen Funktion (Essen vs Ernährung).
Teil 2 https://www.youtube.com/live/2qDj13Uc42o
Anita Engels (Soziologin) Start
- Drei Treiber: Verhalten der Konzerne, globale Konsummuster und globale Finanzierungströme für die Fossilen. Druck auf Politik noch zu gering, da ausreichend einzugreifen. In Cluster, das natur- und sozialwissenschaftlich der Frage nach möglichen und plausiblen Klimazukünften (s. Studie und Studie zu Deutschland) nachgeht. Gesell. Diskussion über Entlastung am unteren Ende und Einhegung ungebremster Aktivitäten am oberen Ende (z.b. Privatjet-Verkehr), Allianzen über Trennungslinien hinweg, bessere Entscheidungsprozesse u. Einbeziehung lokalen Wissens.
Harald Welzer (Publizist, Sozialpsychologe): Start
- Änderte wegen der US-Wahl sein Thema und sprach davon, dass man sich jetzt der Realität stellen und dringend überfraktionellen, demokratischen Konsens brauche - wofür er jetzt aber auch nicht das Rezept habe.
Orchester des Wandels Start
- Musik und Bemerkungen zu Nachhaltigkeit in der Kultur.
Teil 3 https://www.youtube.com/watch?v=IbhFvMmQlR8&list=PL9ZgQUzok-KHrdrymPv6rLsuNU54Rz_RI&index=3
Raphael Thelen Start s. o.
Halliki Kreinin (u. a. Projekt EU 1.5° Lifestyles)Start
- Degrowth (vor allem im Globalen Norden) statt Grüner Kapitalismus. Zeitwohlstand, Zusammenarbeit, Inklusion, Gleichheit, Befreiung statt Produktivismus, Wettbewerb, Spaltung und Herrschaft. Am Ende die Frage, ob wir uns lieber im alten, sich verschlechternden System durchschlagen sollten oder im positiven Sinn “durchwursteln” zu einem besseren System.
Teil 4 https://www.youtube.com/live/mWVpiboILGY?t=122
Eine Plenumsdiskussion zum Abschluss:
- Christoph Störmer (Deutsche Umwelthilfe) glaubt, dass der juristische Weg über die vielen bereits anhängigen Rechtsklagen eine wichtige Rolle spielen kann.
- Nikolas Bieleit-Medicus (Psychologists/ Psychotherapists 4 Future) plädiert für neue Erzählungen, die den nötigen Wandel anschaulich und positiv vor Augen stellen. Dazu spricht er zunächst von Individuen als Helden im Zentrum (wohl in Abgrenzung zu abstrakten Darstellungen), stimmt aber einer Präzisierung aus dem Publikum zu - auch Kollektive sollten mehr erzählt werden.
- Um auch Menschen außerhalb der Bubble zu erreichen, rät David Hofmann (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung) dazu, das Richtige auch einfacher zu machen durch Investitionen in Infrastruktur und Regeln, die so wie die Rauchverbote dann auch bald ein neues Normal bewirkten.
#klimaschutz #ernährung #politik #wirtschaft